Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler
8 Angebote vergleichen

Preise20192020202120222023
SchnittFr. 86.10 ( 88.73)¹ Fr. 146.47 ( 150.94)¹ Fr. 127.15 ( 131.03)¹ Fr. 102.64 ( 105.77)¹ Fr. 116.30 ( 119.84)¹
Nachfrage
Bester Preis: Fr. 3.43 ( 3.53)¹ (vom 02.11.2011)
1
9783421059123 - Mieszkowska, Anna: Die Mutter der Holocaust-Kinder [Neubuch]
Mieszkowska, Anna

Die Mutter der Holocaust-Kinder [Neubuch] (2006)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland ~DE HC NW FE

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, vermutlich in Deutsch, DTV Deutscher Taschenbuch Verlag, gebundenes Buch, neu, Erstausgabe, mit Einband.

Fr. 54.34 ( 56.00)¹ + Versand: Fr. 2.38 ( 2.45)¹ = Fr. 56.72 ( 58.45)¹
unverbindlich
Von Händler/Antiquariat, ANTIQUARIAT Franke BRUDDENBOOKS [6029234], Lübeck, Germany.
318 Seiten; mit zahlreichen Abbildungen versehen. Buch ist neu, aus priv. Vorbesitz, ungelesen. Mit dem, für vor längerer Zeit gedruckten Büchern häufig, leicht getöntem Schnitt. Sonst sauberes und wohlerhaltenes Exemplar. -----Inhalt:. Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung: Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte. ISBN: 9783421059123 Wir senden umgehend mit beiliegender MwSt.Rechnung. Sprache: Deutsch Gewicht in Gramm: 522 Gebundene Ausgabe, Grösse: 14.4 x 3.1 x 22.6 cm, Books.
2
9783421059123 - Mieszkowska, Anna: Die Mutter der Holocaust-Kinder [Neubuch] 1. Auflage
Mieszkowska, Anna

Die Mutter der Holocaust-Kinder [Neubuch] 1. Auflage (2006)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland DE PB US

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, in Deutsch, DTV Deutscher Taschenbuch Verlag, Taschenbuch, gebraucht.

Fr. 53.76 ( 55.40)¹ + Versand: Fr. 2.72 ( 2.80)¹ = Fr. 56.48 ( 58.20)¹
unverbindlich
Lieferung aus: Deutschland, Versandkosten in die BRD.
Von Händler/Antiquariat, BRUDDENBOOKS Lübeck, 23552 Lübeck.
1. Auflage 318 Seiten; mit zahlreichen Abbildungen versehen. Gebundene Ausgabe, Grösse: 14.4 x 3.1 x 22.6 cm Buch ist neu, aus priv. Vorbesitz, ungelesen. Mit dem, für vor längerer Zeit gedruckten Büchern häufig, leicht getöntem Schnitt. Sonst sauberes und wohlerhaltenes Exemplar. -----Inhalt:. Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung: Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte.. ISBN: 9783421059123 Versand D: 2,80 EUR Sendlerowa, Irena ; Biographie; Warschau ; Getto ; Kind ; Rettung ; Juden ; Geschichte ; Erlebnisbericht; 20. Jahrhundert; Nationalsozialismus; Überfall; Holocaust, Angelegt am: 13.01.2022.
3
9783421059123 - Mieszkowska, Anna: Die Mutter der Holocaust-Kinder [Neubuch] 1. Auflage
Mieszkowska, Anna

Die Mutter der Holocaust-Kinder [Neubuch] 1. Auflage (2006)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland DE PB US

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, in Deutsch, DTV Deutscher Taschenbuch Verlag, Taschenbuch, gebraucht.

Fr. 53.76 ( 55.40)¹ + Versand: Fr. 2.38 ( 2.45)¹ = Fr. 56.14 ( 57.85)¹
unverbindlich
Lieferung aus: Deutschland, Versandkosten in die BRD.
Von Händler/Antiquariat, BRUDDENBOOKS Lübeck, 23552 Lübeck.
1. Auflage 318 Seiten; mit zahlreichen Abbildungen versehen. Gebundene Ausgabe, Grösse: 14.4 x 3.1 x 22.6 cm Buch ist neu, aus priv. Vorbesitz, ungelesen. Mit dem, für vor längerer Zeit gedruckten Büchern häufig, leicht getöntem Schnitt. Sonst sauberes und wohlerhaltenes Exemplar. -----Inhalt:. Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung: Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte.. ISBN: 9783421059123 Versand D: 2,45 EUR Sendlerowa, Irena ; Biographie; Warschau ; Getto ; Kind ; Rettung ; Juden ; Geschichte ; Erlebnisbericht; 20. Jahrhundert; Nationalsozialismus; Überfall; Holocaust, Angelegt am: 13.01.2022.
4
9783421059123 - Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff: Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] (Übe
Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff

Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] (Übe (2003)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland DE HC US

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, in Deutsch, 320 Seiten, Deutsche Verlags-Anstalt DVA, gebundenes Buch, gebraucht, akzeptabler Zustand.

Fr. 121.20 ( 124.90)¹ + Versand: Fr. 6.74 ( 6.95)¹ = Fr. 127.95 ( 131.85)¹
unverbindlich
Lieferung aus: Deutschland, Versandkosten nach: Deutschland.
Von Händler/Antiquariat, Buchservice Lars Lutzer, [4352386].
Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schr, Auflage: 2, Hardcover, leichte Gebrauchsspuren, 21,6 x 14,2 x 3 cm, 2000g, Auflage: 2, 320, Internationaler Versand, Banküberweisung, PayPal, Offene Rechnung (Vorkasse vorbehalten).
5
9783421059123 - Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff: Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler
Symbolbild
Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff

Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler (2003)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland ~DE HC

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, vermutlich in Deutsch, 2. Ausgabe, Deutsche Verlags-Anstalt DVA, gebundenes Buch.

Fr. 147.97 ($ 158.70)¹ + Versand: Fr. 6.90 ($ 7.40)¹ = Fr. 154.87 ($ 166.10)¹
unverbindlich
Lieferung aus: Deutschland, Versandkosten nach: DEU.
Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Deutsche Verlags-Anstalt DVA, Auflage: 2. Auflage: 2. Hardcover. 21,6 x 14,2 x 3 cm. Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schreiben, reagierte sie positiv. Sie stellte alles, was sie an Unterlagen hat, zur Verfügung: das, was über sie geschrieben wurde, und das, was sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens selbst notiert hat, nicht unbedingt im Hinblick auf eine Veröffentlichung, eher als Zeugnis für künftige Generationen. »Die heutige junge Generation hat häufig wenig Ahnung davon, dass während der deutschen Besatzung die Familienmitglieder nicht wussten, was ihre nächsten Verwandten machten«, erzählt sie fast allen ihren Besuchern. »Es gibt sehr viele Abhandlungen über Krieg, Besatzung, Vernichtung«, schrieb sie anlässlich eines Treffens der Holocaust-Kinder. »Nirgendwo habe ich jedoch eine Schilderung des immensen Leids der Mütter gefunden, die sich von ihren Kindern trennten, und der Kinder, die in fremde Hände gegeben wurden. Die Mütter, die ahnten, dass sie selbst und ihre gesamte Familie bald tot sein würden, wollten wenigstens ihr Kind retten. Aber nichts ist schwerer für eine Mutter zu ertragen, als sich von ihrem Kind zu trennen. Diese armen Frauen mussten sich über ihren eigenen Widerstand sowie den Widerstand ihrer Familien, etwa der Grosseltern, hinwegsetzen. Denn die Grossmütter, die sich noch an das Verhalten der Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, sahen in ihnen keine Mörder und weigerten sich, sich von ihren Kindern zu trennen; die Mütter wussten jedoch, was sie zu tun hatten .. .« »Einer der Gründe, die mich dazu bewogen, meine Erinnerungen mit anderen Menschen zu teilen«, schrieb Irena Sendler bereits 1981, »war der Wille, der jungen, über die ganze Welt verstreuten Generation der Juden mitzuteilen, dass sie sich irrte, wenn sie meinte, dass die auf unmenschliche Weise gequälten polnischen Juden passiv waren, dass sie nicht kämpften, sondern willenlos in den Tod gingen. Das ist nicht wahr! Ihr täuscht euch, junge Freunde! Hättet ihr die Jugendlichen gesehen, die in jenen Zeiten lebten und arbeiteten, ihr tägliches Ringen mit dem Tod gekannt, der an jeder Haus- und Strassenecke lauerte, hättet ihr ihre würdevolle und beharrliche Haltung, ihre täglichen Taten, ihren Kampf um jedes Stück Brot, jedes Arzneimittel für sterbende Angehörige, um ein Buch, in das sie sich vertiefen konnten, erlebt, würdet ihr eure Meinung ändern! Ihr hättet wunderbare Mädchen und wunderbare Jungen gesehen, die die Folter und Dramen des Alltags im Warschauer Ghetto mit Würde ertrugen. Es ist nicht wahr, dass die Märtyrer des Warschauer Ghettos kampflos starben! Sie kämpften um jeden Tag, um jede Stunde, um jede Minute ihres Lebens in dieser Hölle, mehrere Jahre lang. Und als sie sich endgültig davon überzeugen mussten, dass es für sie keine Rettung mehr gab, griffen sie mutig zur Waffe. Diese ganze Zeit des Kampfes, zuerst des unbewaffneten, dann des bewaffneten Kampfes, war eine Reihe von Handlungen, um gemeinschaftlich das nackte Leben zu verteidigen, denen Verzweiflungstaten folgten, um die Ehre zu bewahren. Wir dürfen nicht müde werden, daran zu erinnern, dass von allen Formen der konspirativen Arbeit im von Hitlerdeutschland besetzten Polen die Judenhilfe zu den schwersten und gefährlichsten gehörte. Für die geringste Geste eines aktiven Mitgefühls mit den Verfolgten drohte seit Herbst 1939 die Todesstrafe. Die Todesstrafe drohte nicht nur für das Verstecken von Personen jüdischer Herkunft, nicht nur dafür, dass man ihnen>arische»Wer einem Juden ein Glas Wasser oder eine Scheibe Brot reichte, konnte das mit dem Leben bezahlen«, erzählte Irena Sendler während unseres ersten Gesprächs. Ich verstand damals, was die Historikerin und Autorin Ruta Sakowska im Sinn hatte, als sie schrieb: »Alle, die Irena Sendler kennen, stehen unter dem Eindruck ihrer Persönlichkeit - der Verbindung ihres Intellekts mit Geistesgrösse, Charakterstärke, Sensibilität für fremdes Leid, einzigartiger Opferbereitschaft. Diese Eigenschaften prägen sie bis heute.« Als es der Familie in den 1960er Jahren schlecht ging, fragte ihre Tochter, Janina Zgrzembska, einmal: »Mutter, was hast du denn angestellt, dass wir so leiden müssen?« Zwanzig Jahre später stellte ihre Enkelin Agnieszka, überrascht vom Besuch eines ausländischen Fernsehteams, dieselbe Frage etwas anders: »Oma, was hast du denn angestellt, dass du so berühmt bist?« Irena Sendlers Tochter erinnert sich, dass sie 1988 nach Israel gereist war und den Baum ihrer Mutter in der Allee der Gerechten berührt hatte. »Jahrelang hatte mir meine Mutter nichts von ihrer Tätigkeit erzählt, und dort öffnete mir der Name Sendler alle Türen. Erst damals verstand ich, was sie geleistet hatte.« Norman Conard, Geschichtslehrer in Uniontown wollte erst nicht glauben, was seine Schülerinnen über die unbekannte Polin in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen hatten: »Das ist bestimmt ein Fehler, ihr müsst das genau prüfen. Oskar Schindler, dessen Leben im Spielberg-Film verewigt worden ist, hat mehr als 1100 Menschen gerettet.« Wie konnte diese Frau zur Rettung der doppelten Anzahl von Menschen, noch dazu Kindern, beigetragen haben? Das Buch ist ein Versuch, eben diese Frage zu beantworten. Und eine weitere Frage, die sich stellt: Wer war Irena Sendler, bevor sie in den tragischen Tagen, Monaten und Jahren des Zweiten Weltkrieges als Schwester Jolanta jüdischen Kindern das Leben rettete? Was hatte sie in ihrer Kindheit und frühen Jugend derart geprägt, dass sie im Alter von knapp dreissig Jahren über einen so starken Charakter verfügte? Hatte sie keine Angst? Hätte sich das alles, worüber sie schreibt und spricht, nicht wirklich ereignet, könnte man ihr Leben für ein spannendes Drehbuch und ihre Erlebnisse für ein anrührendes Abenteuer halten, bei dem sie die Grausamkeit der deutschen Besatzer und die Gefühllosigkeit mancher ihrer Landsleute erfahren musste. Denn es gilt deutlich zu machen: Irena Sendlers Haltung während der deutschen Besatzung ist nicht nur ein Symbol des Kampfes, Mutes und Mitgefühls, sondern auch ein Zeugnis davon, wie allein sie mit ihrer Entscheidung stand. Und wie verlief ihr Leben nach dem Krieg? Was machte sie in den mehr als fünfzig Jahren ihres aktiven Berufslebens? Warum sucht die Vergangenheit sie immer wieder heim und lässt sie nichts vergessen? Irena Sendler ist ein lebendiges Denkmal der Geschichte, ein lebendiges Denkmal des Gedenkens. Eines schwierigen Gedenkens. Schwierig für ihre Generation, aber auch für Jüngere, die aus Büchern etwas über die wahren Ereignisse ihres Lebens erfahren. Nach sechzig Jahren schloss sich der Kreis der Geschichte. In der Nacht ihres Namenstags vom 20. auf den 21. Oktober 1943 blickte die dreiunddreissigjährige mutige Frau einer unsicheren Zukunft entgegen, eine Frau, die der väterlichen Weisung, den Bedrängten die Hand zu reichen, ohne darüber nachzudenken, folgte und ihr Leben und das Leben ihrer Familie aufs Spiel setzte! Im Juli 2003 wurde ihr in Washington der Jan-Karski-Preis zuerkannt. Die feierliche Verleihung dieses Preises fand am 23. Oktober 2003 an der Georgetown University in Washington statt. Unter den geladenen Gästen befand sich auch Elzbieta Ficowska - das jüngste der von Irena Sendler geretteten Kinder und heute Vorsitzende der Vereinigung der Holocaust-Kinder in Polen. Sie nahm den Preis für Irena Sendler entgegen. Die Mutter der Holocaust-Kinder: Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff (Übersetzer), Manfred Wolff (Übersetzer) Matka Dzieci Holocaustu. Historia Ireny Sendlerowej Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen 0.
6
9783421059123 - Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff: Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler
Symbolbild
Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff

Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler (2003)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland ~DE HC

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, vermutlich in Deutsch, 2. Ausgabe, Deutsche Verlags-Anstalt DVA, gebundenes Buch.

Fr. 115.75 ($ 127.10)¹ + Versand: Fr. 6.82 ($ 7.49)¹ = Fr. 122.57 ($ 134.59)¹
unverbindlich
Lieferung aus: Deutschland, Versandkosten nach: DEU.
Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Deutsche Verlags-Anstalt DVA, Auflage: 2. Auflage: 2. Hardcover. 21,6 x 14,2 x 3 cm. Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schreiben, reagierte sie positiv. Sie stellte alles, was sie an Unterlagen hat, zur Verfügung: das, was über sie geschrieben wurde, und das, was sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens selbst notiert hat, nicht unbedingt im Hinblick auf eine Veröffentlichung, eher als Zeugnis für künftige Generationen. »Die heutige junge Generation hat häufig wenig Ahnung davon, dass während der deutschen Besatzung die Familienmitglieder nicht wussten, was ihre nächsten Verwandten machten«, erzählt sie fast allen ihren Besuchern. »Es gibt sehr viele Abhandlungen über Krieg, Besatzung, Vernichtung«, schrieb sie anlässlich eines Treffens der Holocaust-Kinder. »Nirgendwo habe ich jedoch eine Schilderung des immensen Leids der Mütter gefunden, die sich von ihren Kindern trennten, und der Kinder, die in fremde Hände gegeben wurden. Die Mütter, die ahnten, dass sie selbst und ihre gesamte Familie bald tot sein würden, wollten wenigstens ihr Kind retten. Aber nichts ist schwerer für eine Mutter zu ertragen, als sich von ihrem Kind zu trennen. Diese armen Frauen mussten sich über ihren eigenen Widerstand sowie den Widerstand ihrer Familien, etwa der Grosseltern, hinwegsetzen. Denn die Grossmütter, die sich noch an das Verhalten der Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, sahen in ihnen keine Mörder und weigerten sich, sich von ihren Kindern zu trennen; die Mütter wussten jedoch, was sie zu tun hatten .. .« »Einer der Gründe, die mich dazu bewogen, meine Erinnerungen mit anderen Menschen zu teilen«, schrieb Irena Sendler bereits 1981, »war der Wille, der jungen, über die ganze Welt verstreuten Generation der Juden mitzuteilen, dass sie sich irrte, wenn sie meinte, dass die auf unmenschliche Weise gequälten polnischen Juden passiv waren, dass sie nicht kämpften, sondern willenlos in den Tod gingen. Das ist nicht wahr! Ihr täuscht euch, junge Freunde! Hättet ihr die Jugendlichen gesehen, die in jenen Zeiten lebten und arbeiteten, ihr tägliches Ringen mit dem Tod gekannt, der an jeder Haus- und Strassenecke lauerte, hättet ihr ihre würdevolle und beharrliche Haltung, ihre täglichen Taten, ihren Kampf um jedes Stück Brot, jedes Arzneimittel für sterbende Angehörige, um ein Buch, in das sie sich vertiefen konnten, erlebt, würdet ihr eure Meinung ändern! Ihr hättet wunderbare Mädchen und wunderbare Jungen gesehen, die die Folter und Dramen des Alltags im Warschauer Ghetto mit Würde ertrugen. Es ist nicht wahr, dass die Märtyrer des Warschauer Ghettos kampflos starben! Sie kämpften um jeden Tag, um jede Stunde, um jede Minute ihres Lebens in dieser Hölle, mehrere Jahre lang. Und als sie sich endgültig davon überzeugen mussten, dass es für sie keine Rettung mehr gab, griffen sie mutig zur Waffe. Diese ganze Zeit des Kampfes, zuerst des unbewaffneten, dann des bewaffneten Kampfes, war eine Reihe von Handlungen, um gemeinschaftlich das nackte Leben zu verteidigen, denen Verzweiflungstaten folgten, um die Ehre zu bewahren. Wir dürfen nicht müde werden, daran zu erinnern, dass von allen Formen der konspirativen Arbeit im von Hitlerdeutschland besetzten Polen die Judenhilfe zu den schwersten und gefährlichsten gehörte. Für die geringste Geste eines aktiven Mitgefühls mit den Verfolgten drohte seit Herbst 1939 die Todesstrafe. Die Todesstrafe drohte nicht nur für das Verstecken von Personen jüdischer Herkunft, nicht nur dafür, dass man ihnen>arische»Wer einem Juden ein Glas Wasser oder eine Scheibe Brot reichte, konnte das mit dem Leben bezahlen«, erzählte Irena Sendler während unseres ersten Gesprächs. Ich verstand damals, was die Historikerin und Autorin Ruta Sakowska im Sinn hatte, als sie schrieb: »Alle, die Irena Sendler kennen, stehen unter dem Eindruck ihrer Persönlichkeit - der Verbindung ihres Intellekts mit Geistesgrösse, Charakterstärke, Sensibilität für fremdes Leid, einzigartiger Opferbereitschaft. Diese Eigenschaften prägen sie bis heute.« Als es der Familie in den 1960er Jahren schlecht ging, fragte ihre Tochter, Janina Zgrzembska, einmal: »Mutter, was hast du denn angestellt, dass wir so leiden müssen?« Zwanzig Jahre später stellte ihre Enkelin Agnieszka, überrascht vom Besuch eines ausländischen Fernsehteams, dieselbe Frage etwas anders: »Oma, was hast du denn angestellt, dass du so berühmt bist?« Irena Sendlers Tochter erinnert sich, dass sie 1988 nach Israel gereist war und den Baum ihrer Mutter in der Allee der Gerechten berührt hatte. »Jahrelang hatte mir meine Mutter nichts von ihrer Tätigkeit erzählt, und dort öffnete mir der Name Sendler alle Türen. Erst damals verstand ich, was sie geleistet hatte.« Norman Conard, Geschichtslehrer in Uniontown wollte erst nicht glauben, was seine Schülerinnen über die unbekannte Polin in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen hatten: »Das ist bestimmt ein Fehler, ihr müsst das genau prüfen. Oskar Schindler, dessen Leben im Spielberg-Film verewigt worden ist, hat mehr als 1100 Menschen gerettet.« Wie konnte diese Frau zur Rettung der doppelten Anzahl von Menschen, noch dazu Kindern, beigetragen haben? Das Buch ist ein Versuch, eben diese Frage zu beantworten. Und eine weitere Frage, die sich stellt: Wer war Irena Sendler, bevor sie in den tragischen Tagen, Monaten und Jahren des Zweiten Weltkrieges als Schwester Jolanta jüdischen Kindern das Leben rettete? Was hatte sie in ihrer Kindheit und frühen Jugend derart geprägt, dass sie im Alter von knapp dreissig Jahren über einen so starken Charakter verfügte? Hatte sie keine Angst? Hätte sich das alles, worüber sie schreibt und spricht, nicht wirklich ereignet, könnte man ihr Leben für ein spannendes Drehbuch und ihre Erlebnisse für ein anrührendes Abenteuer halten, bei dem sie die Grausamkeit der deutschen Besatzer und die Gefühllosigkeit mancher ihrer Landsleute erfahren musste. Denn es gilt deutlich zu machen: Irena Sendlers Haltung während der deutschen Besatzung ist nicht nur ein Symbol des Kampfes, Mutes und Mitgefühls, sondern auch ein Zeugnis davon, wie allein sie mit ihrer Entscheidung stand. Und wie verlief ihr Leben nach dem Krieg? Was machte sie in den mehr als fünfzig Jahren ihres aktiven Berufslebens? Warum sucht die Vergangenheit sie immer wieder heim und lässt sie nichts vergessen? Irena Sendler ist ein lebendiges Denkmal der Geschichte, ein lebendiges Denkmal des Gedenkens. Eines schwierigen Gedenkens. Schwierig für ihre Generation, aber auch für Jüngere, die aus Büchern etwas über die wahren Ereignisse ihres Lebens erfahren. Nach sechzig Jahren schloss sich der Kreis der Geschichte. In der Nacht ihres Namenstags vom 20. auf den 21. Oktober 1943 blickte die dreiunddreissigjährige mutige Frau einer unsicheren Zukunft entgegen, eine Frau, die der väterlichen Weisung, den Bedrängten die Hand zu reichen, ohne darüber nachzudenken, folgte und ihr Leben und das Leben ihrer Familie aufs Spiel setzte! Im Juli 2003 wurde ihr in Washington der Jan-Karski-Preis zuerkannt. Die feierliche Verleihung dieses Preises fand am 23. Oktober 2003 an der Georgetown University in Washington statt. Unter den geladenen Gästen befand sich auch Elzbieta Ficowska - das jüngste der von Irena Sendler geretteten Kinder und heute Vorsitzende der Vereinigung der Holocaust-Kinder in Polen. Sie nahm den Preis für Irena Sendler entgegen. Die Mutter der Holocaust-Kinder: Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff (Übersetzer), Manfred Wolff (Übersetzer) Matka Dzieci Holocaustu. Historia Ireny Sendlerowej Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schreiben, reagierte sie positiv. Sie stellte alles, was sie an Unterlagen hat, zur Verfügung: das, was über sie geschrieben wurde, und das, was sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens selbst notiert hat, nicht unbedingt im Hinblick auf eine Veröffentlichung, eher als Zeugnis für künftige Generationen. »Die heutige junge Generation hat häufig wenig Ahnung davon, dass während der deutschen Besatzung die Familienmitglieder nicht wussten, was ihre nächsten Verwandten machten«, erzählt sie fast allen ihren Besuchern. »Es gibt sehr viele Abhandlungen über Krieg, Besatzung, Vernichtung«, schrieb sie anlässlich eines Treffens der Holocaust-Kinder. »Nirgendwo habe ich jedoch eine Schilderung des immensen Leids der Mütter gefunden, die sich von ihren Kindern trennten, und der Kinder, die in fremde Hände gegeben wurden. Die Mütter, die ahnten, dass sie selbst und ihre gesamte Familie bald tot sein würden, wollten wenigstens ihr Kind retten. Aber nichts ist schwerer für eine Mutter zu ertragen, als sich von ihrem Kind zu trennen. Diese armen Frauen mussten sich über ihren eigenen Widerstand sowie den Widerstand ihrer Familien, etwa der Grosseltern, hinwegsetzen. Denn die Grossmütter, die sich noch an das Verhalten der Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, sahen in ihnen keine Mörder und weigerten sich, sich von ihren Kindern zu trennen; die Mütter wussten jedoch, was sie zu tun hatten .. .« »Einer der Gründe, die mich dazu bewogen, meine Erinnerungen mit anderen Menschen zu teilen«, schrieb Irena Sendler bereits 1981, »war der Wille, der jungen, über die ganze Welt verstreuten Generation der Juden mitzuteilen, dass sie sich irrte, wenn sie meinte, dass die auf unmenschliche Weise gequälten polnischen Juden passiv waren, dass sie nicht kämpften, sondern willenlos in den Tod gingen. Das ist nicht wahr! Ihr täuscht euch, junge Freunde! Hättet ihr die Jugendlichen gesehen, die in jenen Zeiten lebten und arbeiteten, ihr tägliches Ringen mit dem Tod gekannt, der an jeder Haus- und Strassenecke lauerte, hättet ihr ihre würdevolle und beharrliche Haltung, ihre täglichen Taten, ihren Kampf um jedes Stück Brot, jedes Arzneimittel für sterbende Angehörige, um ein Buch, in das sie sich vertiefen konnten, erlebt, würdet ihr eure Meinung ändern! Ihr hättet wunderbare Mädchen und wunderbare Jungen gesehen, die die Folter und Dramen des Alltags im Warschauer Ghetto mit Würde ertrugen. Es ist nicht wahr, dass die Märtyrer des Warschauer Ghettos kampflos starben! Sie kämpften um jeden Tag, um jede Stunde, um jede Minute ihres Lebens in dieser Hölle, mehrere Jahre lang. Und als sie sich endgültig davon überzeugen mussten, dass es für sie keine Rettung mehr gab, griffen sie mutig zur Waffe. Diese ganze Zeit des Kampfes, zuerst des unbewaffneten, dann des bewaffneten Kampfes, war eine Reihe von Handlungen, um gemeinschaftlich das nackte Leben zu verteidigen, denen Verzweiflungstaten folgten, um die Ehre zu bewahren. Wir dürfen nicht müde werden, daran zu erinnern, dass von allen Formen der konspirativen Arbeit im von Hitlerdeutschland besetzten Polen die Judenhilfe zu den schwersten und gefährlichsten gehörte. Für die geringste Geste eines aktiven Mitgefühls mit den Verfolgten drohte seit Herbst 1939 die Todesstrafe. Die Todesstrafe drohte nicht nur für das Verstecken von Personen jüdischer Herkunft, nicht nur dafür, dass man ihnen>arische»Wer einem Juden ein Glas Wasser oder eine Scheibe Brot reichte, konnte das mit dem Leben bezahlen«, erzählte Irena Sendler während unseres ersten Gesprächs. Ich verstand damals, was die Historikerin und Autorin Ruta Sakowska im Sinn hatte, als sie schrieb: »Alle, die Irena Sendler kennen, stehen unter dem Eindruck ihrer Persönlichkeit - der Verbindung ihres Intellekts mit Geistesgrösse, Charakterstärke, Sensibilität für fremdes Leid, einzigartiger Opferbereitscha.
7
9783421059123 - Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff: Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler
Symbolbild
Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff

Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler (2003)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland ~DE HC

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, vermutlich in Deutsch, 2. Ausgabe, Deutsche Verlags-Anstalt DVA, gebundenes Buch.

Fr. 115.95 ($ 127.28)¹ + Versand: Fr. 6.83 ($ 7.50)¹ = Fr. 122.78 ($ 134.78)¹
unverbindlich
Lieferung aus: Deutschland, Versandkosten nach: DEU.
Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Deutsche Verlags-Anstalt DVA, Auflage: 2. Auflage: 2. Hardcover. 21,6 x 14,2 x 3 cm. Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schreiben, reagierte sie positiv. Sie stellte alles, was sie an Unterlagen hat, zur Verfügung: das, was über sie geschrieben wurde, und das, was sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens selbst notiert hat, nicht unbedingt im Hinblick auf eine Veröffentlichung, eher als Zeugnis für künftige Generationen. »Die heutige junge Generation hat häufig wenig Ahnung davon, dass während der deutschen Besatzung die Familienmitglieder nicht wussten, was ihre nächsten Verwandten machten«, erzählt sie fast allen ihren Besuchern. »Es gibt sehr viele Abhandlungen über Krieg, Besatzung, Vernichtung«, schrieb sie anlässlich eines Treffens der Holocaust-Kinder. »Nirgendwo habe ich jedoch eine Schilderung des immensen Leids der Mütter gefunden, die sich von ihren Kindern trennten, und der Kinder, die in fremde Hände gegeben wurden. Die Mütter, die ahnten, dass sie selbst und ihre gesamte Familie bald tot sein würden, wollten wenigstens ihr Kind retten. Aber nichts ist schwerer für eine Mutter zu ertragen, als sich von ihrem Kind zu trennen. Diese armen Frauen mussten sich über ihren eigenen Widerstand sowie den Widerstand ihrer Familien, etwa der Grosseltern, hinwegsetzen. Denn die Grossmütter, die sich noch an das Verhalten der Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, sahen in ihnen keine Mörder und weigerten sich, sich von ihren Kindern zu trennen; die Mütter wussten jedoch, was sie zu tun hatten .. .« »Einer der Gründe, die mich dazu bewogen, meine Erinnerungen mit anderen Menschen zu teilen«, schrieb Irena Sendler bereits 1981, »war der Wille, der jungen, über die ganze Welt verstreuten Generation der Juden mitzuteilen, dass sie sich irrte, wenn sie meinte, dass die auf unmenschliche Weise gequälten polnischen Juden passiv waren, dass sie nicht kämpften, sondern willenlos in den Tod gingen. Das ist nicht wahr! Ihr täuscht euch, junge Freunde! Hättet ihr die Jugendlichen gesehen, die in jenen Zeiten lebten und arbeiteten, ihr tägliches Ringen mit dem Tod gekannt, der an jeder Haus- und Strassenecke lauerte, hättet ihr ihre würdevolle und beharrliche Haltung, ihre täglichen Taten, ihren Kampf um jedes Stück Brot, jedes Arzneimittel für sterbende Angehörige, um ein Buch, in das sie sich vertiefen konnten, erlebt, würdet ihr eure Meinung ändern! Ihr hättet wunderbare Mädchen und wunderbare Jungen gesehen, die die Folter und Dramen des Alltags im Warschauer Ghetto mit Würde ertrugen. Es ist nicht wahr, dass die Märtyrer des Warschauer Ghettos kampflos starben! Sie kämpften um jeden Tag, um jede Stunde, um jede Minute ihres Lebens in dieser Hölle, mehrere Jahre lang. Und als sie sich endgültig davon überzeugen mussten, dass es für sie keine Rettung mehr gab, griffen sie mutig zur Waffe. Diese ganze Zeit des Kampfes, zuerst des unbewaffneten, dann des bewaffneten Kampfes, war eine Reihe von Handlungen, um gemeinschaftlich das nackte Leben zu verteidigen, denen Verzweiflungstaten folgten, um die Ehre zu bewahren. Wir dürfen nicht müde werden, daran zu erinnern, dass von allen Formen der konspirativen Arbeit im von Hitlerdeutschland besetzten Polen die Judenhilfe zu den schwersten und gefährlichsten gehörte. Für die geringste Geste eines aktiven Mitgefühls mit den Verfolgten drohte seit Herbst 1939 die Todesstrafe. Die Todesstrafe drohte nicht nur für das Verstecken von Personen jüdischer Herkunft, nicht nur dafür, dass man ihnen>arische»Wer einem Juden ein Glas Wasser oder eine Scheibe Brot reichte, konnte das mit dem Leben bezahlen«, erzählte Irena Sendler während unseres ersten Gesprächs. Ich verstand damals, was die Historikerin und Autorin Ruta Sakowska im Sinn hatte, als sie schrieb: »Alle, die Irena Sendler kennen, stehen unter dem Eindruck ihrer Persönlichkeit - der Verbindung ihres Intellekts mit Geistesgrösse, Charakterstärke, Sensibilität für fremdes Leid, einzigartiger Opferbereitschaft. Diese Eigenschaften prägen sie bis heute.« Als es der Familie in den 1960er Jahren schlecht ging, fragte ihre Tochter, Janina Zgrzembska, einmal: »Mutter, was hast du denn angestellt, dass wir so leiden müssen?« Zwanzig Jahre später stellte ihre Enkelin Agnieszka, überrascht vom Besuch eines ausländischen Fernsehteams, dieselbe Frage etwas anders: »Oma, was hast du denn angestellt, dass du so berühmt bist?« Irena Sendlers Tochter erinnert sich, dass sie 1988 nach Israel gereist war und den Baum ihrer Mutter in der Allee der Gerechten berührt hatte. »Jahrelang hatte mir meine Mutter nichts von ihrer Tätigkeit erzählt, und dort öffnete mir der Name Sendler alle Türen. Erst damals verstand ich, was sie geleistet hatte.« Norman Conard, Geschichtslehrer in Uniontown wollte erst nicht glauben, was seine Schülerinnen über die unbekannte Polin in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen hatten: »Das ist bestimmt ein Fehler, ihr müsst das genau prüfen. Oskar Schindler, dessen Leben im Spielberg-Film verewigt worden ist, hat mehr als 1100 Menschen gerettet.« Wie konnte diese Frau zur Rettung der doppelten Anzahl von Menschen, noch dazu Kindern, beigetragen haben? Das Buch ist ein Versuch, eben diese Frage zu beantworten. Und eine weitere Frage, die sich stellt: Wer war Irena Sendler, bevor sie in den tragischen Tagen, Monaten und Jahren des Zweiten Weltkrieges als Schwester Jolanta jüdischen Kindern das Leben rettete? Was hatte sie in ihrer Kindheit und frühen Jugend derart geprägt, dass sie im Alter von knapp dreissig Jahren über einen so starken Charakter verfügte? Hatte sie keine Angst? Hätte sich das alles, worüber sie schreibt und spricht, nicht wirklich ereignet, könnte man ihr Leben für ein spannendes Drehbuch und ihre Erlebnisse für ein anrührendes Abenteuer halten, bei dem sie die Grausamkeit der deutschen Besatzer und die Gefühllosigkeit mancher ihrer Landsleute erfahren musste. Denn es gilt deutlich zu machen: Irena Sendlers Haltung während der deutschen Besatzung ist nicht nur ein Symbol des Kampfes, Mutes und Mitgefühls, sondern auch ein Zeugnis davon, wie allein sie mit ihrer Entscheidung stand. Und wie verlief ihr Leben nach dem Krieg? Was machte sie in den mehr als fünfzig Jahren ihres aktiven Berufslebens? Warum sucht die Vergangenheit sie immer wieder heim und lässt sie nichts vergessen? Irena Sendler ist ein lebendiges Denkmal der Geschichte, ein lebendiges Denkmal des Gedenkens. Eines schwierigen Gedenkens. Schwierig für ihre Generation, aber auch für Jüngere, die aus Büchern etwas über die wahren Ereignisse ihres Lebens erfahren. Nach sechzig Jahren schloss sich der Kreis der Geschichte. In der Nacht ihres Namenstags vom 20. auf den 21. Oktober 1943 blickte die dreiunddreissigjährige mutige Frau einer unsicheren Zukunft entgegen, eine Frau, die der väterlichen Weisung, den Bedrängten die Hand zu reichen, ohne darüber nachzudenken, folgte und ihr Leben und das Leben ihrer Familie aufs Spiel setzte! Im Juli 2003 wurde ihr in Washington der Jan-Karski-Preis zuerkannt. Die feierliche Verleihung dieses Preises fand am 23. Oktober 2003 an der Georgetown University in Washington statt. Unter den geladenen Gästen befand sich auch Elzbieta Ficowska - das jüngste der von Irena Sendler geretteten Kinder und heute Vorsitzende der Vereinigung der Holocaust-Kinder in Polen. Sie nahm den Preis für Irena Sendler entgegen. Die Mutter der Holocaust-Kinder: Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff (Übersetzer), Manfred Wolff (Übersetzer) Matka Dzieci Holocaustu. Historia Ireny Sendlerowej Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schreiben, reagierte sie positiv. Sie stellte alles, was sie an Unterlagen hat, zur Verfügung: das, was über sie geschrieben wurde, und das, was sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens selbst notiert hat, nicht unbedingt im Hinblick auf eine Veröffentlichung, eher als Zeugnis für künftige Generationen. »Die heutige junge Generation hat häufig wenig Ahnung davon, dass während der deutschen Besatzung die Familienmitglieder nicht wussten, was ihre nächsten Verwandten machten«, erzählt sie fast allen ihren Besuchern. »Es gibt sehr viele Abhandlungen über Krieg, Besatzung, Vernichtung«, schrieb sie anlässlich eines Treffens der Holocaust-Kinder. »Nirgendwo habe ich jedoch eine Schilderung des immensen Leids der Mütter gefunden, die sich von ihren Kindern trennten, und der Kinder, die in fremde Hände gegeben wurden. Die Mütter, die ahnten, dass sie selbst und ihre gesamte Familie bald tot sein würden, wollten wenigstens ihr Kind retten. Aber nichts ist schwerer für eine Mutter zu ertragen, als sich von ihrem Kind zu trennen. Diese armen Frauen mussten sich über ihren eigenen Widerstand sowie den Widerstand ihrer Familien, etwa der Grosseltern, hinwegsetzen. Denn die Grossmütter, die sich noch an das Verhalten der Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, sahen in ihnen keine Mörder und weigerten sich, sich von ihren Kindern zu trennen; die Mütter wussten jedoch, was sie zu tun hatten .. .« »Einer der Gründe, die mich dazu bewogen, meine Erinnerungen mit anderen Menschen zu teilen«, schrieb Irena Sendler bereits 1981, »war der Wille, der jungen, über die ganze Welt verstreuten Generation der Juden mitzuteilen, dass sie sich irrte, wenn sie meinte, dass die auf unmenschliche Weise gequälten polnischen Juden passiv waren, dass sie nicht kämpften, sondern willenlos in den Tod gingen. Das ist nicht wahr! Ihr täuscht euch, junge Freunde! Hättet ihr die Jugendlichen gesehen, die in jenen Zeiten lebten und arbeiteten, ihr tägliches Ringen mit dem Tod gekannt, der an jeder Haus- und Strassenecke lauerte, hättet ihr ihre würdevolle und beharrliche Haltung, ihre täglichen Taten, ihren Kampf um jedes Stück Brot, jedes Arzneimittel für sterbende Angehörige, um ein Buch, in das sie sich vertiefen konnten, erlebt, würdet ihr eure Meinung ändern! Ihr hättet wunderbare Mädchen und wunderbare Jungen gesehen, die die Folter und Dramen des Alltags im Warschauer Ghetto mit Würde ertrugen. Es ist nicht wahr, dass die Märtyrer des Warschauer Ghettos kampflos starben! Sie kämpften um jeden Tag, um jede Stunde, um jede Minute ihres Lebens in dieser Hölle, mehrere Jahre lang. Und als sie sich endgültig davon überzeugen mussten, dass es für sie keine Rettung mehr gab, griffen sie mutig zur Waffe. Diese ganze Zeit des Kampfes, zuerst des unbewaffneten, dann des bewaffneten Kampfes, war eine Reihe von Handlungen, um gemeinschaftlich das nackte Leben zu verteidigen, denen Verzweiflungstaten folgten, um die Ehre zu bewahren. Wir dürfen nicht müde werden, daran zu erinnern, dass von allen Formen der konspirativen Arbeit im von Hitlerdeutschland besetzten Polen die Judenhilfe zu den schwersten und gefährlichsten gehörte. Für die geringste Geste eines aktiven Mitgefühls mit den Verfolgten drohte seit Herbst 1939 die Todesstrafe. Die Todesstrafe drohte nicht nur für das Verstecken von Personen jüdischer Herkunft, nicht nur dafür, dass man ihnen>arische»Wer einem Juden ein Glas Wasser oder eine Scheibe Brot reichte, konnte das mit dem Leben bezahlen«, erzählte Irena Sendler während unseres ersten Gesprächs. Ich verstand damals, was die Historikerin und Autorin Ruta Sakowska im Sinn hatte, als sie schrieb: »Alle, die Irena Sendler kennen, stehen unter dem Eindruck ihrer Persönlichkeit - der Verbindung ihres Intellekts mit Geistesgrösse, Charakterstärke, Sensibilität für fremdes Leid, einzigartiger Opferbereitscha.
8
9783421059123 - Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff: Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler
Symbolbild
Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff , Manfred Wolff

Die Mutter der Holocaust-Kinder Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Matka Dzieci Holocaustu Historia Ireny Sendler (2003)

Lieferung erfolgt aus/von: Deutschland ~DE HC

ISBN: 9783421059123 bzw. 3421059128, vermutlich in Deutsch, 2. Ausgabe, Deutsche Verlags-Anstalt DVA, gebundenes Buch.

Fr. 115.95 ($ 129.32)¹ + Versand: Fr. 6.83 ($ 7.62)¹ = Fr. 122.78 ($ 136.94)¹
unverbindlich
Lieferung aus: Deutschland, Versandkosten nach: DEU.
Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Deutsche Verlags-Anstalt DVA, Auflage: 2. Auflage: 2. Hardcover. 21,6 x 14,2 x 3 cm. Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schreiben, reagierte sie positiv. Sie stellte alles, was sie an Unterlagen hat, zur Verfügung: das, was über sie geschrieben wurde, und das, was sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens selbst notiert hat, nicht unbedingt im Hinblick auf eine Veröffentlichung, eher als Zeugnis für künftige Generationen. »Die heutige junge Generation hat häufig wenig Ahnung davon, dass während der deutschen Besatzung die Familienmitglieder nicht wussten, was ihre nächsten Verwandten machten«, erzählt sie fast allen ihren Besuchern. »Es gibt sehr viele Abhandlungen über Krieg, Besatzung, Vernichtung«, schrieb sie anlässlich eines Treffens der Holocaust-Kinder. »Nirgendwo habe ich jedoch eine Schilderung des immensen Leids der Mütter gefunden, die sich von ihren Kindern trennten, und der Kinder, die in fremde Hände gegeben wurden. Die Mütter, die ahnten, dass sie selbst und ihre gesamte Familie bald tot sein würden, wollten wenigstens ihr Kind retten. Aber nichts ist schwerer für eine Mutter zu ertragen, als sich von ihrem Kind zu trennen. Diese armen Frauen mussten sich über ihren eigenen Widerstand sowie den Widerstand ihrer Familien, etwa der Grosseltern, hinwegsetzen. Denn die Grossmütter, die sich noch an das Verhalten der Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, sahen in ihnen keine Mörder und weigerten sich, sich von ihren Kindern zu trennen; die Mütter wussten jedoch, was sie zu tun hatten .. .« »Einer der Gründe, die mich dazu bewogen, meine Erinnerungen mit anderen Menschen zu teilen«, schrieb Irena Sendler bereits 1981, »war der Wille, der jungen, über die ganze Welt verstreuten Generation der Juden mitzuteilen, dass sie sich irrte, wenn sie meinte, dass die auf unmenschliche Weise gequälten polnischen Juden passiv waren, dass sie nicht kämpften, sondern willenlos in den Tod gingen. Das ist nicht wahr! Ihr täuscht euch, junge Freunde! Hättet ihr die Jugendlichen gesehen, die in jenen Zeiten lebten und arbeiteten, ihr tägliches Ringen mit dem Tod gekannt, der an jeder Haus- und Strassenecke lauerte, hättet ihr ihre würdevolle und beharrliche Haltung, ihre täglichen Taten, ihren Kampf um jedes Stück Brot, jedes Arzneimittel für sterbende Angehörige, um ein Buch, in das sie sich vertiefen konnten, erlebt, würdet ihr eure Meinung ändern! Ihr hättet wunderbare Mädchen und wunderbare Jungen gesehen, die die Folter und Dramen des Alltags im Warschauer Ghetto mit Würde ertrugen. Es ist nicht wahr, dass die Märtyrer des Warschauer Ghettos kampflos starben! Sie kämpften um jeden Tag, um jede Stunde, um jede Minute ihres Lebens in dieser Hölle, mehrere Jahre lang. Und als sie sich endgültig davon überzeugen mussten, dass es für sie keine Rettung mehr gab, griffen sie mutig zur Waffe. Diese ganze Zeit des Kampfes, zuerst des unbewaffneten, dann des bewaffneten Kampfes, war eine Reihe von Handlungen, um gemeinschaftlich das nackte Leben zu verteidigen, denen Verzweiflungstaten folgten, um die Ehre zu bewahren. Wir dürfen nicht müde werden, daran zu erinnern, dass von allen Formen der konspirativen Arbeit im von Hitlerdeutschland besetzten Polen die Judenhilfe zu den schwersten und gefährlichsten gehörte. Für die geringste Geste eines aktiven Mitgefühls mit den Verfolgten drohte seit Herbst 1939 die Todesstrafe. Die Todesstrafe drohte nicht nur für das Verstecken von Personen jüdischer Herkunft, nicht nur dafür, dass man ihnen>arische»Wer einem Juden ein Glas Wasser oder eine Scheibe Brot reichte, konnte das mit dem Leben bezahlen«, erzählte Irena Sendler während unseres ersten Gesprächs. Ich verstand damals, was die Historikerin und Autorin Ruta Sakowska im Sinn hatte, als sie schrieb: »Alle, die Irena Sendler kennen, stehen unter dem Eindruck ihrer Persönlichkeit - der Verbindung ihres Intellekts mit Geistesgrösse, Charakterstärke, Sensibilität für fremdes Leid, einzigartiger Opferbereitschaft. Diese Eigenschaften prägen sie bis heute.« Als es der Familie in den 1960er Jahren schlecht ging, fragte ihre Tochter, Janina Zgrzembska, einmal: »Mutter, was hast du denn angestellt, dass wir so leiden müssen?« Zwanzig Jahre später stellte ihre Enkelin Agnieszka, überrascht vom Besuch eines ausländischen Fernsehteams, dieselbe Frage etwas anders: »Oma, was hast du denn angestellt, dass du so berühmt bist?« Irena Sendlers Tochter erinnert sich, dass sie 1988 nach Israel gereist war und den Baum ihrer Mutter in der Allee der Gerechten berührt hatte. »Jahrelang hatte mir meine Mutter nichts von ihrer Tätigkeit erzählt, und dort öffnete mir der Name Sendler alle Türen. Erst damals verstand ich, was sie geleistet hatte.« Norman Conard, Geschichtslehrer in Uniontown wollte erst nicht glauben, was seine Schülerinnen über die unbekannte Polin in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen hatten: »Das ist bestimmt ein Fehler, ihr müsst das genau prüfen. Oskar Schindler, dessen Leben im Spielberg-Film verewigt worden ist, hat mehr als 1100 Menschen gerettet.« Wie konnte diese Frau zur Rettung der doppelten Anzahl von Menschen, noch dazu Kindern, beigetragen haben? Das Buch ist ein Versuch, eben diese Frage zu beantworten. Und eine weitere Frage, die sich stellt: Wer war Irena Sendler, bevor sie in den tragischen Tagen, Monaten und Jahren des Zweiten Weltkrieges als Schwester Jolanta jüdischen Kindern das Leben rettete? Was hatte sie in ihrer Kindheit und frühen Jugend derart geprägt, dass sie im Alter von knapp dreissig Jahren über einen so starken Charakter verfügte? Hatte sie keine Angst? Hätte sich das alles, worüber sie schreibt und spricht, nicht wirklich ereignet, könnte man ihr Leben für ein spannendes Drehbuch und ihre Erlebnisse für ein anrührendes Abenteuer halten, bei dem sie die Grausamkeit der deutschen Besatzer und die Gefühllosigkeit mancher ihrer Landsleute erfahren musste. Denn es gilt deutlich zu machen: Irena Sendlers Haltung während der deutschen Besatzung ist nicht nur ein Symbol des Kampfes, Mutes und Mitgefühls, sondern auch ein Zeugnis davon, wie allein sie mit ihrer Entscheidung stand. Und wie verlief ihr Leben nach dem Krieg? Was machte sie in den mehr als fünfzig Jahren ihres aktiven Berufslebens? Warum sucht die Vergangenheit sie immer wieder heim und lässt sie nichts vergessen? Irena Sendler ist ein lebendiges Denkmal der Geschichte, ein lebendiges Denkmal des Gedenkens. Eines schwierigen Gedenkens. Schwierig für ihre Generation, aber auch für Jüngere, die aus Büchern etwas über die wahren Ereignisse ihres Lebens erfahren. Nach sechzig Jahren schloss sich der Kreis der Geschichte. In der Nacht ihres Namenstags vom 20. auf den 21. Oktober 1943 blickte die dreiunddreissigjährige mutige Frau einer unsicheren Zukunft entgegen, eine Frau, die der väterlichen Weisung, den Bedrängten die Hand zu reichen, ohne darüber nachzudenken, folgte und ihr Leben und das Leben ihrer Familie aufs Spiel setzte! Im Juli 2003 wurde ihr in Washington der Jan-Karski-Preis zuerkannt. Die feierliche Verleihung dieses Preises fand am 23. Oktober 2003 an der Georgetown University in Washington statt. Unter den geladenen Gästen befand sich auch Elzbieta Ficowska - das jüngste der von Irena Sendler geretteten Kinder und heute Vorsitzende der Vereinigung der Holocaust-Kinder in Polen. Sie nahm den Preis für Irena Sendler entgegen. Die Mutter der Holocaust-Kinder: Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto [Gebundene Ausgabe] Anna Mieszkowska (Autor), Urszula Usakowska-Wolff (Übersetzer), Manfred Wolff (Übersetzer) Matka Dzieci Holocaustu. Historia Ireny Sendlerowej Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Deutsche Besatzung Judenrettung Nationalsozialismus Sendler Irena Getto Erinnerungen Warschau zur Zeit der deutschen Besatzung Obwohl für die geringste Hilfeleistung gegenüber Juden die Todesstrafe droht, gelingt es der jungen Polin Irena Sendler, 2500 jüdische Kinder vor dem Tod zu bewahren. Als Krankenschwester hat sie Zugang zum Warschauer Ghetto. In Säcken und Kisten, mit Schlafmitteln betäubt, durch Keller und Abwasserkanäle schleust sie die Kinder auf die andere Seite des Ghettos. Mit gefälschten Papieren gibt sie ihnen eine neue Identität und verschafft ihnen in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern ein neues Zuhause. Als die Gestapo sie fasst und foltert, gibt sie keine Namen preis und kommt selbst nur knapp mit dem Leben davon. Die genauen Daten aller geretteten Kinder versteckt sie unter einem Apfelbaum in einem Garten. Auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen der mittlerweile 95jährigen Irena Sendler erzählt die Journalistin Anna Mieszkowska ihre bislang fast unbekannte Geschichte Anna Mieszkowska, geboren 1958 in Warschau, ist Theaterwissenschaftlerin und Journalistin. Literatur Biografien Erfahrungsberichte Deutsche Besatzung Berichte Erinnerungen Judenrettung Nationalsozialismus Sendler, Irena Warschau Getto ISBN-10 3-421-05912-8 / 3421059128 ISBN-13 978-3-421-05912-3 / 9783421059123 Vorwort Dies ist das erste Buch über Irena Sendler. Es ist eigentlich mehr als ein Buch über sie. Obwohl es sich nicht einfach um ein langes Interview handelt, ist es zum überwiegenden Teil doch ihr Buch. Anna Mieszkowska lässt nämlich ihre Heldin zu Wort kommen, gibt ihre Meinung wieder, zitiert sie. Jahrelang waren ihre Taten relativ wenigen Menschen bekannt: jenen, denen sie das Leben gerettet hat, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sowie einigen Historikern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg, vorwiegend mit der Geschichte der Massenvernichtung, befassen. Man konnte den Eindruck gewinnen, wir seien uns dessen nicht bewusst gewesen, oder wollten uns vielmehr dessen nicht bewusst werden, dass unter uns eine Frau mit einer so aussergewöhnlichen Biografie lebt, obwohl im täglichen Leben bescheiden, herzlich, hilfsbereit und immer den Menschen zugewandt, die in Not geraten sind, eine Frau, mit der Umgang zu haben einfach Freude bereitet. Dass diese grosse Persönlichkeit an den Rand gedrängt wurde, hatte verschiedene Ursachen, darunter auch die wiederholte Verleugnung der neuesten Geschichte im kommunistischen Polen. Auf der Liste der Helden war einfach kein Platz für eine engagierte Frau, die zwar der Linken entstammte, doch von der ideologischen Utopie des Kommunismus weit entfernt war, die einer linken Bewegung angehörte, die in Polen eine grosse Tradition hat. Ins Spiel kam ferner, dass man seit den ersten Nachkriegsjahren in der Volksrepublik Polen alles, was auf die eine oder andere Weise mit Juden zusammenhing, für ein heikles, unsicheres und gefährliches Thema hielt, über das man besser schwieg. Dieses Phänomen verschärfte sich noch, als in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der offizielle Antisemitismus aufkam, in dem sich Motive des Faschismus und des Stalinismus, den beiden schlimmsten Formen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, verbanden. In einer Welt, in der eine solche Ideologie die Herrschaft über den Geist anstrebte, gab es keinen Platz für Irena Sendler. Es ist also kein Zufall, dass sie erst nach der Wende 1989 zu einer öffentlich anerkannten und viel gerühmten Person wurde. Das demokratische Polen weiss sie nämlich zu würdigen, wovon Auszeichnungen wie der ihr verliehene Orden des Weissen Adlers oder der Jan-Karski-Preis, benannt nach einer anderen herausragenden Persönlichkeit, die die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert prägte, zeugen. Auch im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Schweden, Deutschland und in vielen anderen Ländern, hat man die Bedeutung Irena Sendlers erkannt. Die Formulierung »Sendlers Liste« hält Einzug in die Sprache und hat gute Aussichten, die von Steven Spielbergs Film geprägte Formulierung »Schindlers Liste« zu übertreffen. Schliesslich ist die Namensliste der von der Polin Irena Sendler geretteten Juden viel umfangreicher als die Liste jener, die der deutsche Industrielle Oskar Schindler gerettet hat. Anna Mieszkowskas Buch erzählt Irena Sendlers Geschichte präzise und detailliert, es schildert ihre Taten, ihre Arbeit und ihren Alltag, es zeigt ihre moralische Grösse. Etwas so Grosses zu leisten wie die Rettung von 2500 jüdischen Kindern während der Vernichtung und darüber hinaus zur Rettung einer beachtlichen Zahl von Erwachsenen beizutragen, dazu gehört viel menschliche Klasse. Um so etwas Einmaliges und Mutiges zu tun, und das in einer Situation, in der jede einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraft wurde, musste man wahrlich über heldenhafte Tugenden verfügen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, reichte allein nicht aus, genauso wenig wie die Überzeugung, dort Hilfe zu leisten, wo sie so dringend erforderlich war; denn wer eine solche Aufgabe auf sich nahm, musste unglaublich mutig sein, er setzte nämlich sein Leben aufs Spiel - und das nicht nur einmal, wenn er eine mutige Tat beging, sondern ständig. Man muss hier fast schon von Aufopferung sprechen. Irena Sendler riskierte ihr Leben, um während der deutschen Besatzung Juden zu retten. Um so Grosses zu vollbringen, reichten Mut und Charakterstärke allein nicht aus. Diese Tugenden waren verbunden mit einer ausserordentlichen Energie, die sie entfalten musste, um die Kinder aus dem Ghetto herauszuholen und dann ein Versteck für sie zu finden an Orten, die eine Überlebenschance boten. Irena Sendler wusste, dass das Leben von Menschen, deren einzige Schuld darin bestand, kein »arisches Blut« zu haben, auf dem Spiel stand, und entfaltete angesichts dessen eine ausserordentliche Energie und einen ungewöhnlichen Ideenreichtum. Und sie legte dabei ein verblüffendes Organisationstalent an den Tag. Einer allein hätte so viele Kinder niemals retten können. Das Buch von Anna Mieszkowska ist eine indirekte Huldigung an Irena Sendlers Mitarbeiter, bewundernswerte, unglaublich mutige und aufopferungsvolle Frauen. Ich sage es noch einmal: Irena Sendler ist in letzter Zeit eine öffentliche Person geworden, von der man in der Presse liest und im Rundfunk spricht, eine öffentliche Person, von der man in Dokumentarfilmen erzählt. Irena Sendler ist bereits jetzt ein Symbol des Heldentums und der Aufopferung - und sie hat beste Aussichten, auch zu einem Symbol für die guten und freundschaftlichen polnisch-jüdischen Beziehungen zu werden. Micha Glowiriski Irena Sendler im Frühjahr 2003 Irena Sendlers Geschichte war mir aus Presse- und Fernsehberichten bekannt. Als 2001 vier Schülerinnen einer amerikanischen Schule in Uniontown, Kansas, die Heldin des von ihnen verfassten Theaterstücks Holocaust. Leben im Glas in Warschau besuchten, riefen die Medien die damals 91-jährige Irena Sendler und ihre ausserordentlichen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. Sie ist die »Mutter« von 2500 aus dem Warschauer Ghetto geretteten Kindern. Ich benutze bewusst nicht das Wort »Pflegemutter«, sondern Mutter, denn sie hat ihnen das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Im April 2003 kam Lili Pohlmann aus London zu den Feierlichkeiten des 60. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands nach Warschau. Sie besuchte Irena Sendler im Pflegeheim des Klosters der Barmherzigen Brüder im Stadtteil Nowe Miasto. Sie war ausserordentlich bewegt von dieser Begegnung. Es war für sie unfassbar, dass niemand es für angebracht hielt, diese bescheidene Frau zu würdigen, die es nicht zuliess, dass man von ihr als »Heldin« sprach, und die die von ihr geretteten Kinder »Helden mütterlicher Herzen« nannte. Lili Pohlmann sagte zu mir: »Du musst Irena Sendler kennen lernen und über sie schreiben.« Ich ging also zu ihr. Mir gegenüber sitzt, schwarz gekleidet, eine freundlich lächelnde alte Dame in einem bequemen Sessel und drückte sich sehr gewählt, fast literarisch aus. An den Wänden ihres kleinen Zimmers hängen sorgfältig gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Und auf dem Tisch, in greifbarer Nähe, stehen Fotos ihrer Mutter, ihrer Eltern als Verlobte, ihrer Kinder und ihrer Enkelin. Ausserdem ein aufwändig gerahmtes Bild der vier amerikanischen Schülerinnen aus Uniontown. Sie waren es, die mit ihrem Theaterstück die Geschichte der mutigen Polin in Erinnerung riefen und in nur zehn Minuten fünf Jahre Kriegsgräuel Revue passieren liessen. »Die Mädchen aus den fernen Vereinigten Staaten entdeckten dich für die Welt und für ... Polen«, sagt Sendlers Freundin Jolanta Migdalska-Barariska. »Ja, das stimmt. Das geschah nach Jahren der Schikanen, Erniedrigungen, Verfolgungen«, antwortet Irena Sendler traurig. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und fühlte sich zur Sozialarbeiterin im weitesten und schönsten Sinn dieses Wortes berufen. Mein erster Besuch bei ihr dauert eineinviertel Stunden. Sie erzählt unter anderem: »Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich prägte mir für immer seine Worte ein, dass man die Menschen in gute und böse einteilt. Nationalität, Rasse, Religion haben keine Bedeutung. Nur was für ein Mensch jemand ist. Der zweite Grundsatz, den man mir seit meiner Kindheit beibrachte, war die Pflicht, dem Ertrinkenden die Hand hinzustrecken, jedem Menschen, der in Not geraten ist. Ich bin 93 Jahre alt«, sagt Irena Sendler, »leide an dreissig Krankheiten und blicke auf sechzig Jahre meines geschenkten Lebens zurück. Seit über fünfzehn Jahren sitze ich im Rollstuhl. Ich mag keine Journalisten, denn sehr oft verdrehen sie das, was man ihnen erzählt. Immer wieder taucht in Interviews oder Berichten über mich die irrige Information auf, dass ich typhuskranke Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausholte. Das zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Lebensbedingungen im Ghetto. Typhuskranke Menschen, unabhängig davon, ob es Erwachsene oder Kinder waren, hatten praktisch keine Chance, gerettet zu werden. Solche falschen Informationen werden häufig verbreitet. Deshalb berichtige ich sie jetzt. Meistens halte ich mich an den Grundsatz, mit niemandem über das Ghetto zu sprechen, der nicht dort war, von meinem Aufenthalt im Pawiak-Gefängnis niemandem zu erzählen, der dort nicht inhaftiert war, und über den Warschauer Aufstand unterhalte ich mich nicht mit Leuten, die ihn nicht selbst erlebt haben. Über meine Erfahrungen zu berichten, ist sehr anstrengend für mich. Erinnerungen und Albträume kehren zurück. Noch heute träume ich davon, wie ich Eltern um Erlaubnis bitte, ihr Kind mitzunehmen. Aber auf die Frage, welche Garantien wir geben, konnte ich nur antworten, dass es keine Garantien gibt. Diese Träume verfolgen mich. Die Aufregung kostet mich viel Kraft. Mein Leben war alles andere als einfach. Ich habe viel erlebt. Auch viele persönliche Tragödien ... Ich habe eine Tochter, eine Schwiegertochter und eine Enkelin. Und sehr, sehr viele Freunde ... Zu mir kommen Menschen, die ich gerettet habe, aber auch deren Kinder und Enkel.« Bis heute interessiert sich Irena Sendler für vieles und hält sich auf dem Laufenden. Sie liebt Menschen, und sie liebt Blumen. Wer in einer schwierigen Lebenslage um Hilfe und Rat bat, hat immer ein gutes Wort und Unterstützung von ihr bekommen. In ihrem kleinen Zimmer herrscht häufig Gedränge. Es kommt vor, dass an einem Tag mehrere Leute sie besuchen kommen. Das strengt sie zwar an, aber sie kann nicht Nein sagen, wenn jemand sie konkret um Hilfe bittet. Sie ist bestens darüber informiert, was in der Welt und in Polen vor sich geht. Sie macht sich Sorgen wegen des Irak-Kriegs, wegen der zahlreichen Gefahren des immer bedrohlicher werdenden Terrorismus. »Ich bin Pazifistin«, erklärt sie. »Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zwei Aufstände in Warschau. Ich kann mich nicht mit dem Tod unschuldiger Menschen abfinden, und die Leidtragenden sind die Kinder. Sie leiden am meisten darunter.« Auf den Vorschlag, gemeinsam ein Buch über ihr ungewöhnliches Leben zu schreiben, reagierte sie positiv. Sie stellte alles, was sie an Unterlagen hat, zur Verfügung: das, was über sie geschrieben wurde, und das, was sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens selbst notiert hat, nicht unbedingt im Hinblick auf eine Veröffentlichung, eher als Zeugnis für künftige Generationen. »Die heutige junge Generation hat häufig wenig Ahnung davon, dass während der deutschen Besatzung die Familienmitglieder nicht wussten, was ihre nächsten Verwandten machten«, erzählt sie fast allen ihren Besuchern. »Es gibt sehr viele Abhandlungen über Krieg, Besatzung, Vernichtung«, schrieb sie anlässlich eines Treffens der Holocaust-Kinder. »Nirgendwo habe ich jedoch eine Schilderung des immensen Leids der Mütter gefunden, die sich von ihren Kindern trennten, und der Kinder, die in fremde Hände gegeben wurden. Die Mütter, die ahnten, dass sie selbst und ihre gesamte Familie bald tot sein würden, wollten wenigstens ihr Kind retten. Aber nichts ist schwerer für eine Mutter zu ertragen, als sich von ihrem Kind zu trennen. Diese armen Frauen mussten sich über ihren eigenen Widerstand sowie den Widerstand ihrer Familien, etwa der Grosseltern, hinwegsetzen. Denn die Grossmütter, die sich noch an das Verhalten der Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, sahen in ihnen keine Mörder und weigerten sich, sich von ihren Kindern zu trennen; die Mütter wussten jedoch, was sie zu tun hatten .. .« »Einer der Gründe, die mich dazu bewogen, meine Erinnerungen mit anderen Menschen zu teilen«, schrieb Irena Sendler bereits 1981, »war der Wille, der jungen, über die ganze Welt verstreuten Generation der Juden mitzuteilen, dass sie sich irrte, wenn sie meinte, dass die auf unmenschliche Weise gequälten polnischen Juden passiv waren, dass sie nicht kämpften, sondern willenlos in den Tod gingen. Das ist nicht wahr! Ihr täuscht euch, junge Freunde! Hättet ihr die Jugendlichen gesehen, die in jenen Zeiten lebten und arbeiteten, ihr tägliches Ringen mit dem Tod gekannt, der an jeder Haus- und Strassenecke lauerte, hättet ihr ihre würdevolle und beharrliche Haltung, ihre täglichen Taten, ihren Kampf um jedes Stück Brot, jedes Arzneimittel für sterbende Angehörige, um ein Buch, in das sie sich vertiefen konnten, erlebt, würdet ihr eure Meinung ändern! Ihr hättet wunderbare Mädchen und wunderbare Jungen gesehen, die die Folter und Dramen des Alltags im Warschauer Ghetto mit Würde ertrugen. Es ist nicht wahr, dass die Märtyrer des Warschauer Ghettos kampflos starben! Sie kämpften um jeden Tag, um jede Stunde, um jede Minute ihres Lebens in dieser Hölle, mehrere Jahre lang. Und als sie sich endgültig davon überzeugen mussten, dass es für sie keine Rettung mehr gab, griffen sie mutig zur Waffe. Diese ganze Zeit des Kampfes, zuerst des unbewaffneten, dann des bewaffneten Kampfes, war eine Reihe von Handlungen, um gemeinschaftlich das nackte Leben zu verteidigen, denen Verzweiflungstaten folgten, um die Ehre zu bewahren. Wir dürfen nicht müde werden, daran zu erinnern, dass von allen Formen der konspirativen Arbeit im von Hitlerdeutschland besetzten Polen die Judenhilfe zu den schwersten und gefährlichsten gehörte. Für die geringste Geste eines aktiven Mitgefühls mit den Verfolgten drohte seit Herbst 1939 die Todesstrafe. Die Todesstrafe drohte nicht nur für das Verstecken von Personen jüdischer Herkunft, nicht nur dafür, dass man ihnen>arische»Wer einem Juden ein Glas Wasser oder eine Scheibe Brot reichte, konnte das mit dem Leben bezahlen«, erzählte Irena Sendler während unseres ersten Gesprächs. Ich verstand damals, was die Historikerin und Autorin Ruta Sakowska im Sinn hatte, als sie schrieb: »Alle, die Irena Sendler kennen, stehen unter dem Eindruck ihrer Persönlichkeit - der Verbindung ihres Intellekts mit Geistesgrösse, Charakterstärke, Sensibilität für fremdes Leid, einzigartiger Opferbereitscha.
Lade…