Genius: Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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ISBN: 9783813502435 bzw. 3813502430, vermutlich in Deutsch, Albrecht Knaus Verlag, gebundenes Buch.

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. 0.
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. 0.
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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ISBN: 9783813502435 bzw. 3813502430, vermutlich in Deutsch, Albrecht Knaus Verlag, gebundenes Buch.

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche d.
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche d.
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche d.
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche d.
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche d.
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Harold Bloom (Autor), Yvonne Badal

Genius Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur [Gebundene Ausgabe] Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Literatur Shakespeare Cervantes Montaigne Milton Tolstoi Kunst Musik Theater (2004)

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Albrecht Knaus Verlag, 2004. 2004. Hardcover. 23 x 15,8 x 5,6 cm. Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche die göttliche Immanenz im irdischen Königreich enthüllt. Sämtliche anderen Sefirot lassen sich nur durch Malchut erreichen, deshalb bediene ich mich dieser Sefirah auch, um in der ersten Gruppe eine höchst unterschiedliche, einander aber seltsam durchdringende Sequenz von Genies aufzuführen, die jeweils eigene Arten von menschlichen Komödien erschufen: Honoré de Balzac, Lewis Carroll, den Psychologen-Romancier Henry James, den Erfinder des dramatischen Monologs Robert Browning und William Butler Yeats, den dramatischen Lyriker aus Irland. Die zugehörige zweite Gruppe besteht aus Charles Dickens und Fjodor Dostojewskij, den beiden visionären Novellisten des Grotesken, dem russisch-jüdischen Geschichtenerzähler Isaak Babel und aus Paul Celan, dem rumänisch-jüdischen Begründer einer deutschsprachigen Dichtung nach dem Holocaust, welche dem Strahlen von Kafkas narrativer deutschsprachiger Prosa in nichts nachsteht. Der jüngst verstorbene afrikanisch-amerikanische Romancier Ralph Waldo Ellison, dessen visionärer Genius in seinem Unsichtbaren Mann zur Perfektion gelangte, vervollständigt diese Einwohnung von Malchut in der Welt unserer Zeit. Er ist der letzte von den einhundert Genies, die in diesem Buch betrachtet werden. Kunst Musik Theater Denker Dichter Dichtung Gedichte Dichterin Genie Schriftsteller Schriftstellerin Weltliteratur ISBN-10 3-8135-0243-0 / 3813502430 ISBN-13 978-3-8135-0243-5 / 9783813502435 Harold Bloom, streitbarer Star der amerikanischen Literaturkritik und international anerkannter Wissenschaftler mit Bestsellerqualitäten, präsentiert seine 100 grössten Schriftsteller aus 2500 Jahren Weltliteratur. Ein Standardwerk für jeden Buchliebhaber. Der Genius spiegelt das Göttliche im Menschen. Er inspiriert Dichter und Denker aller Epochen zu ihren grössten Werken und ist Flamme des kreativen Schaffens. Diese Schöpferkraft vereint alle Weltliteraten. Sie ist Ursache für die kreativen »Wahlverwandtschaften « und für ein unsichtbares, unbewusstes Beziehungsgeflecht zwischen den Grössten der Grossen. Genau dieses Phänomen macht Harold Bloom zum Ordnungsprinzip seines neuen Buches. Er versucht, dieses geheime Netz sichtbar werden zu lassen. In zehn Kapiteln präsentiert Bloom jeweils zehn Literaten, Männer wie Frauen, die mit ihren Werken grosse Visionen geschaffen, tiefgreifende Erkenntnisse in die menschliche Natur ermöglicht und sich wesentlich beeinflusst haben. Die Krone seines literarischen Weltenbaumes bilden Shakespeare, Cervantes, Montaigne, Milton und Tolstoi. Sie alle dominieren ihr Genre bis heute. Zu den 100 ganz Grossen gehören ausserdem beispielsweise Plato, Ibsen, Beckett, Virgina Woolf, Thomas Mann, Rilke oder Celan, um nur einige Beispiele aufzuführen. Souverän schöpft Bloom aus seinem gewaltigen Wissensfundus. Mit leichter Hand und sprachlicher Brillanz bittet er zur Begegnung mit den genialen Schriftstellern der Weltkulturen und setzt sie in ein neues Licht – überschäumend, charmant, unkonventionell, lustvoll und sehr unterhaltsam. Autor: Harold Bloom ist Sterling Professor of Humanities an der Yale University, Berg Professor of English an der New York University und früher Charles Eliot Norton Professor in Harvard. Zahlreiche Veröffentlichungen, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Autor ist heute einer der bedeutenden Literaturwissenschaftler in den USA. Übersetzer Yvonne Badal Sprache deutsch Masse 150 x 227 mm Einbandart gebunden Vorwort Warum diese einhundert Genies? Ich hatte ursprünglich viel mehr geplant, doch dann schienen mir einhundert am angemessensten. Abgesehen von den Schriftstellern, die ich unmöglich übergehen konnte - Shakespeare, Dante, Cervantes, Homer, Vergil, Platon und ihresgleichen -, ist meine Auswahl völlig eigenmächtig und von persönlichen Neigungen geprägt. Dies sind gewiss nicht «die oberen Einhundert», weder nach allgemeiner noch nach meiner eigenen Beurteilung. Es sind die, über die ich schreiben wollte. Da sich meine Kompetenz nur auf die Literaturkritik und in gewissem Masse noch auf Religionsphilosophie erstreckt, findet sich in diesem Buch nichts über Einstein, Delacroix, Mozart, Louis Armstrong und all die anderen. Es ist ein Mosaik aus literarischen Genies, einbeschlossen Sokrates, obwohl er der mündlichen Überlieferung angehört, und Mohammed, obwohl der Islam versichert, dass Allah ihm den Koran diktiert habe. Erste Anzeichen deuten neuerdings auf eine gewisse Unschlüssigkeit innerhalb der Gruppe, die den Genius als einen reinen Fetisch des 18. Jahrhunderts abtut. Gruppenkonformes Denken ist die Plage unseres Informationszeitalters, doch am schädlichsten wirkt es sich gewiss auf unsere veralteten akademischen Institutionen aus, die seit 1967 unaufhörlich Selbstmord begehen. Die Erforschung von Mittelmass, welcher Couleur auch immer, gebiert Mittelmässigkeit. Thomas Mann, der Sohn eines Speditionskaufmanns, prophezeite seiner Joseph-Tetralogie bleibenden Wert, weil er sie einfach gut geschrieben fand. Wir lassen uns keine Tische und Stühle bieten, von denen die Beine abfallen, ganz egal, wer der Tischler war, aber wir drängen die Jugend, mittelmässige Literatur zu studieren, obwohl sie von gar keinem Bein gestützt wird. Dieses Buch unterscheidet sich insofern von meinen vorangegangenen Arbeiten, als ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, ausschliesslich den jeweiligen Genius meiner einhundert Persönlichkeiten zu definieren. Dabei habe ich zwar Biographien mit Literaturkritik vermengt, aber doch jede Historisierung vermieden. Gegen eine Kontextualisierung oder gegen die hintergründige Betrachtung eines Werkes kann niemand etwas haben. Aber Literatur, Spiritualität oder Ideen durch übertrieben historisierende Determinationen einzuschränken behagt mir überhaupt nicht. Unter identischen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einflüssen können unsterbliche Werke Seite an Seite mit Zeitwerken entstehen. Thomas Middleton, Philip Massinger und George Chapman verfügten über dieselben kulturellen Energien, die vermutlich auch einem Hamlet und einem König Lear Gestalt verliehen. Dennoch sind die besten fünfundzwanzig Stücke Shakespeares (von neununddreissig) keine Zeitwerke geworden. Und da wir einfach nicht wissen, wie wir uns einen Shakespeare (oder Dante, Cervantes, Goethe, Walt Whitman) anders erklären sollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns erneut mit der alten Idee vom Genius zu beschäftigen. Talent besitzt keine eigene Schöpferkraft, den Genius dagegen drängt es zur Schöpfung. Über die Einteilung dieses Buches Genius und Kabbala Ich habe einhundert literarische Genies in zehn Gruppen zu je zehn Personen nebeneinander gestellt und diese dann wiederum in zwei Untergruppen zu je fünf aufgeteilt, obwohl der Genius meiner Meinung nach etwas so grundsätzlich Idiosynkratisches und grandios Eigenmächtiges ist, dass er letzten Endes immer für sich steht. Jeder Zeitgenosse Dantes hätte dasselbe Verhältnis zur Tradition haben und genauso gebildet sein können wie er oder auch genau die gleiche Art von Liebe für eine andere Beatrice empfinden können, doch nur Dante schrieb Die Göttliche Komödie. Jedes meiner einhundert Genies ist also einzigartig, nur ist es eben so, dass auch das vorliegende Buch einer gewissen Ordnung und Struktur bedarf. Deshalb habe ich es wie ein Mosaik arrangiert, denn ich glaube, dass sich aus einem solchen Muster wichtige Unterschiede und erhellende Details ergeben werden. Seit ich mir dieses Buch vor Jahren vorzustellen begann, ging mir das Bild von den kabbalistischen Sefirot nicht mehr aus dem Kopf. Aus diesem Grund formulierte ich die Überschriften meiner zehn Einteilungen nach deren gebräuchlichsten Bezeichnungen. Die Kabbala ist eine Sammlung von Spekulationen, die sich auf eine stark figurative Sprache stützen. Und wesentlich bei dieser Metaphorik sind die Sefirot, welche die Eigenschaften sowohl Gottes als auch Adam Kadmons bezeichnen, des «ersten Adam», Mensch der Menschen, Ebenbild Gottes. All diese Attribute strömen aus einer Mitte, die nirgends und nichts - da unendlich - ist, in einen Umkreis ein, der überall und endlich ist. Die Idee einer solchen Emanation gründet sich auf Plotin, den bedeutendsten Neuplatoniker, mit dem Unterschied, dass bei ihm die Emanationen aus dem göttlichen Einen hervorgehen und von diesem ausstrahlen, wohingegen die Sefirot der Kabbala untrennbar mit Gott oder dem göttlichen Menschen verbunden bleiben. Die Kabbalisten glaubten, dass Gott, welcher Aiyn («Nichts») ist, die Welt aus sich selbst heraus erschaffen habe, und es sind die Sefirot, die den Prozess dieser Schöpfung verzeichnen: Sie stehen für die Namen Gottes bei dem Akt des Schöpfens und sind so gewaltige Metaphern, dass sie zu eigenständigen Dichtungen oder gar Dichtern werden. Der Ursprung des Wortes Sefirah (Singular von Sefirot) ist wahrscheinlich das hebräische sappir (Saphir), das sich auch als ein Licht, ein Text oder eine Phase der schöpferischen Kraft vorstellen liesse. Ich habe meine einhundert kurzen Studien über den Genius jeweils derjenigen Sefirah zugeordnet, welche mir persönlich am relevantesten erschien - aber natürlich werden sich niemals zwei Seelen darüber einigen können, was wirklich relevant ist. Meine Einordnungen können insofern schon gar nicht bindend sein, als es sich bei allen Sefirot um Vorstellungen handelt, die unentwegt in Bewegung sind und die jeder schöpferische Geist durch viele labyrinthische Stadien der Transformation durchlaufen muss. Gershom Scholem, der Urvater der modernen Kabbalaforschung, setzte die Kabbala mit dem Genius des jüdischen Glaubens gleich. Scholems Nachfolger Moshe Idel entdeckte in der Kabbala (trotz ihrer plötzlichen Popularität unter den Juden der Provence und Kataloniens im 13. Jahrhundert) die Wiederkehr von uralten jüdischen Spekulationen. In gewisser Weise sind sich aber sowohl Scholem als auch Idel mit der Versicherung der Kabbala einig, dass sie uns zu Chawah und Adam in den Garten Eden vor der Vertreibung zurückführt, ebenso wie beide mit der gleichermassen insistierenden kabbalistischen Behauptung konform gehen, dass Moscheh die Kabbala als das esoterische Element des mündlichen Gesetzes von Jahwe auf dem Berge Sinai erhalten habe. Die Sefirot bilden das Herzstück der Kabbala, da sie Gottes Innerlichkeit repräsentieren, die Geheimnisse der göttlichen Natur und Wesenheit. Sie sind also die Attribute des göttlichen Genius in jedem Sinne, in dem ich den Begriff «Genius» in diesem Buch verwende. Keter, die erste Sefirah, wird auch die «Krone» genannt, da sie das gekrönte Haupt von Adam Kadmon versinnbildlicht, dem Gott-Menschen vor dem Fall. Doch wie alle Sefirot ist Keter ein Paradox, da die Kabbalisten diese Sefirah mit dem Begriff Aiyn (Nichts) gleichsetzten. Jorge Luis Borges schrieb einmal, dass Shakespeare «jeder und niemand» gewesen sei, was ich in «alles und nichts» abändern möchte: die Krone der Literatur und zugleich das Ur-Nichts. Als einer der grössten Bewunderer des Barden finde ich es auch nicht zu dreist, in Shakespeares Genius durchaus eine Art von säkularer Göttlichkeit zu sehen, weshalb ich ihn folgerichtig an die erste Stelle meiner hundert Repräsentanten des literarischen Genius setze. Auf Shakespeare lasse ich unter dem Luster (siehe Anm. 1 im folgenden Kapitel) von Keter vier fast vergleichbare Figuren folgen: Miguel de Cervantes, den «ersten Romancier»; Michel de Montaigne, den ersten Selbstbetrachtungsessayisten; John Milton, den Neuerfinder der Epik; und Leo Tolstoj, welcher Epik und Roman verschmolz. In der zweiten Gruppe unter diesem Luster versammle ich grosse Autobiographen und Ich-Darsteller: die Dichter Lukrez und Vergil, den Psychologen und Theologen Augustinus und die (neben Shakespeare und Homer) überragendsten Dichter Dante Alighieri und Geoffrey Chaucer. Aufgeführt werden diese fünf Figuren wiederum in einer Sequenz, die ihre jeweiligen Einflüsse aufeinander verdeutlicht, denn ein jeder war vom Vorgänger inspiriert worden - abgesehen von Lukrez, der stolz auf den Philosophen Epikur verweisen kann. Da die zehn Sefirot ein System in konstanter Bewegung sind, könnte jede meiner einhundert Figuren nicht nur von der Sefirah, unter die ich sie einreihe, sondern beinahe gleichermassen gut durch die anderen neun Sefirot beleuchtet werden. Am liebsten hätte ich, dass dieses Buch ein bewegliches Mosaik in der Art eines Perpetuum mobile wäre, doch Drucklegungen bedürfen nun einmal einer Sequenz. Und so will ich noch einmal betonen, dass die von mir aufgestellte Reihenfolge suggestiv ist und weder als zementiert noch als vollkommen willkürlich verstanden werden sollte. Chochma, die zweite Sefirah, wird üblicherweise als «Weisheit» übersetzt. Darunter möge man sich jedoch jene Aura von Weisheit vorstellen, von welcher die «Weisheitsliteratur» der Hebräischen Bibel und ihre zugehörigen Kommentare umgeben sind. Ich habe Sokrates, Platon, die Jahwistin1, Paulus und Mohammed zu meiner ersten Gruppe von Weisheitsautoren zusammengefasst und diese dann mit fünf Vertretern von säkularer Weisheit umrahmt: mit Dr. Samuel Johnson, seinem Biographen James Boswell, den Gelehrten Johann Wolfgang von Goethe und Sigmund Freud und dem Ironiker Thomas Mann. Die dritte Sefirah, Bina, steht für die Aufnahmefähigkeit der Intelligenz, also weniger für einen passiven Geist als für einen, der sich der Macht von Weisheit dramatisch öffnet. Für mich repräsentieren Friedrich Nietzsche, Søren Kierkegaard und Franz Kafka einen solch weit geöffneten Geist, ebenso wie Marcel Proust, der letzte grosse Romancier, und der anglo-irische Seher Samuel Beckett. In der zweiten Sequenz führe ich fünf der bedeutendsten europäischen Dramatiker auf - Molière, Henrik Ibsen, Anton Tschechow, Oscar Wilde und Luigi Pirandello -, weil sie allesamt über genau den flinken Intellekt verfügten, den Kabbalisten mit Bina assoziieren. Für Chesed, die freigebige und verheissungsvolle Liebe, welche von Gott ausstrahlt (oder auch vom Menschen), fand ich meine erste Gruppe von Repräsentanten in fünf grossen ironischen Schriftstellern und wahren Ironikern der Liebe: John Donne, Alexander Pope, Jonathan Swift sowie Jane Austen und der Hofdame Murasaki, die beide ironische Sehnsucht besonders zartfühlend meisterten. Auch die zweite Gruppe besteht aus erotischen Genies, in diesem Fall jedoch aus solchen, die sich mehr mit der Seelenpein befassten, von welcher erotische Verheissung begleitet sein kann: Nathaniel Hawthorne und Herman Melville, den Schwestern Charlotte und Emily Jane Brontë und Virginia Woolf. Din, die nächste Sefirah, wird auch Gewura genannt. Doch während Din die Bedeutung von «strikter Beurteilung» hat, ist Gewura die Kraft, welche zu solcher Strenge befähigt. Hier habe ich mit einer methodischen Reihe grosser angloamerikanischer Dichter von seherischem Genie begonnen: Ralph Waldo Emerson, Emily Dickinson, Robert Frost, Wallace Stevens und T. S. Eliot, allesamt Vertretern unserer angloamerikanischen Ursprünge, welche im weiteren Sinne im Puritanismus liegen. Ihnen lasse ich fünf Dichter der Hochromantik folgen, die sich durch eine besonders rigorose Vorstellungskraft auszeichnen: William Wordsworth, Percy Bysshe Shelley, John Keats, Alfred Lord Tennyson und den Italiener Giacomo Leopardi. Unter dem Luster von Tiferet (Schönheit), auch Rachanim (Mitleid) genannt, wende ich mich in der ersten Gruppe fünf grossen Figuren der ästhetischen Bewegung zu - Algernon Charles Swinburne, den Rossettis, Walter Pater und dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal - und lasse diesen in der zweiten Gruppe fünf der bedeutendsten Dichter der französischen Romantik und deren Erbe folgen: Victor Hugo, Gérard de Nerval, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Valéry. Die siebte Sefirah, Nezach, kann als Sieg Gottes respektive als die unbesiegbare ewige Dauer verstanden werden. Hier beginne ich mit drei Giganten der Epik - Homer, dem Portugiesen Luis Vaz de Camões, James Joyce - und geselle diesen dann Alejo Carpentier, den wunderbaren epischen Romancier Kubas, sowie den mexikanischen Dichter Octavio Paz zu, dessen Stimme am mächtigsten aus seinen «kurzen Epen» tönt. Der anschliessenden zweiten Gruppe ist dann vielleicht weniger der Sieg als eine eindrucksvolle Dauerhaftigkeit gemein: Stendhal, Mark Twain, William Faulkner, Ernest Hemingway und Flannery O'Connor, die obendrein alle auch Ironiker der Ewigkeit waren. Hod, der Glanz oder die Majestät, welcher prophetische Kraft innewohnt, ist das beherrschende Element einer Sequenz von Dichterpropheten, die mit Walt Whitman und drei von ihm beeinflussten Dichtern beginnt - Fernando Pessoa aus Portugal, Hart Crane aus den USA und Federico García Lorca aus Andalusien - und von dem grossen modernen Exildichter Luis Cernuda aus Spanien komplettiert wird. Da Hod aber auch moralische Grösse versinnbildlicht, erstrahlen unter seinem Luster ebenso die Romanciers George Eliot, Willa Cather, Edith Wharton, F. Scott Fitzgerald und die philosophische Schriftstellerin Iris Murdoch. Mit Jessod, der neunten Sefirah, manchmal auch als «Fundament» bezeichnet, haben wir nun ein Attribut, das eng mit der ursprünglichen römischen Bedeutung von «Genius» im Sinne einer Erzeuger- oder Schöpferkraft verwandt ist. In der ersten Gruppe versammle ich eine Reihe von Meistern der erotischen Erzählung: Gustave Flaubert, José Maria Eça de Queiroz aus Portugal, den afrikanischen Brasilianer Joaquim Maria Machado de Assis, den Argentinier Jorge Luis Borges und den modernen italienischen Fabulisten Italo Calvino. Die zweite Sequenz besteht aus fünf heroischen Vitalisten: dem prophetischen Dichter William Blake, dem prophetischen Romancier D. H. Lawrence, dem grossen amerikanischen Dramatiker Tennessee Williams, welcher stark von D. H. Lawrence und Hart Crane beeinflusst wurde, und den beiden fundamental modernen Dichtern Rainer Maria Rilke und dem Italiener Eugenio Montale. Die zehnte und letzte Sefirah ist Malchut, das Königreich, auch Atara (Diadem) genannt. Obwohl Malchut mit der Schechina, der «Einwohnung Gottes in der Welt» gleichgesetzt wird, die auch als weiblich gedachte Gegenwart Gottes verstanden werden kann, habe ich mich hier allein an der Auslegung dieses Begriffs als «tiefste Innerlichkeit» orientiert. Von diesem Luster werden zehn männliche Genies beleuchtet, die Geschlechtszugehörigkeit transzendieren. Für mich ist Malchut die faszinierendste Sefirah, da sie es ist, welche d.
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